Geschichte der LETS-Bewegung

Tauschen ist nichts Neues

Getauscht wird schon seit Urzeiten. Man kann sich vorstellen, dass die Urmenschen bereits beim Aufkommen des Eigentumsbegriffs und der Arbeitsteilung begannen, miteinander zu tauschen: Nicht jeder kann alles selber produzieren; nur durch Eintauschen der selbst-produzierbaren Sachen gegen die Produkte anderer, kam der eiszeitliche Homo Sapiens an alle lebensnotwendigen Güter.

Aber Tauschen ist gar nicht so einfach! Man stelle sich einen Marktplatz vor, auf dem Bauern ihre Produkte zum Tausch anbieten: Wenn die Marktfrau mit den Hühnern nicht bereit ist, als Gegenleistung meine Kohlrabi zu nehmen, weil sie zur Zeit nur Mais gebrauchen kann, wie bekomme ich dann ein Huhn für meine Suppe?

Der skizzierte bilaterale Tausch funktioniert so schlecht, dass er bereits zu Urzeiten durch multilateralen Tausch ersetzt wurde. Dabei muss sich die Gemeinschaft auf ein oder mehrere Tausch- bzw. Zahlungsmittel einigen, mit dem alle Güter und Leistungen bewertet und vergütet („bezahlt“) werden. Im weiteren Verlauf dieses Textes ist mit „Tausch“ immer der multilaterale Tausch gemeint.

Zu den verschiedenen Zeiten und in den verschiedenen Gesellschaften haben die unterschiedlichsten Dinge als Tauschmittel gedient: Vieh, Getreide, Sklaven, gebrannte Tontäfelchen mit eingeritzem Anspruch auf einen Warengegenwert, Muscheln, Edelmetallstücke, Papierscheine, geprägte Münzen, Bankwechsel, gespaltene Kerbhölzer u.s.w..

Geldprobleme

Statt der althergebrachten Tauschmittelvielfalt dominiert in der modernen Gesellschaft heute das Geld in seinen verschiedenen Erscheinungsformen (Münzen, Scheine, Girokonto, Geldkarte u.s.w.) als Zahlungsmittel. Das Geld wird vom Bankensystem erzeugt und verwaltet und ist das einzige Zahlungsmittel, dass der Staat zum Steuerzahlen akzeptiert („gesetzliches Zahlungsmittel“).

Leider ist das Geldsystem in seiner heutigen Form nicht nur praktisch für die Menschen, sondern auch problematisch:

  • Problem: Durch Zinsen und Investoren-Renditen wird das Geld immer stärker von „unten“ nach „oben“ verteilt, so dass sich immer mehr Reichtum in den Händen von wenigen Personen und Organisationen anhäuft, während der große Rest der Bevölkerung zunehmend ärmer wird. Deshalb fehlt das Geld meist dort, wo es am dringendsten gebraucht wird: als Vermittler von Dienstleistungen von Mensch zu Mensch. Beispielsweise finden viele Arbeitssuchende unter anderem deshalb keine Abnehmer für ihre Dienste, weil denen, die diese Dienste gebrauchen könnten, schlicht die Kaufkraft fehlt.
    Lösungsansatz: Eigentlich wird nur ein geeignetes Zahlungs- bzw. Tauschmittel benötigt, um das Geben und Nehmen zwischen den Menschen „unten“ wieder in Gang zu bringen, damit es allen gut geht. Geldfreie Tauschsysteme können die vorhandene Zahlungsmittelknappheit der Bevölkerung nur dann überwinden, wenn sie ihre Tauschmittel selbst schöpfen und keine Konvertierbarkeit ihrer Tauschmittel in gesetzliche Zahlungsmittel zulassen.
  • Problem: Kreditvergabe löst große Schwankungen in der zirkulierenden Geldmenge aus und führt dadurch zu verheerenden konjunkturellen Schwankungen und Krisen, von denen regelmäßig das Großkapital profitiert und die Masse der Menschen wirtschaftlich Schaden nimmt.
    Lösungsansatz: Geldfreie Tauschsysteme können nur dann eine stabil funktionierende Alternative/Ergänzung zum heutigen Geldsystem bilden, wenn sie die inhärenten Instabilitäten durch Kreditvergaben konsequent meiden und andere Formen der Anschubfinanzierung (Finanzierungsgemeinschaften) entwickeln.

Rückbesinnung auf alternative Tauschmittel

Der heutige „Kasinokapitalismus“ ähnelt einem Hamsterrad ohne Ausgangstür für die arbeitenden und arbeitssuchenden Menschen. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich zunehmend Tauschsysteme bilden und entwickeln, in denen die Teilnehmer ihre Tauschleistungen gegenseitig verrechnen, ohne dafür Geld zu benutzen.

In Deutschland hat sich für diese Tauschsysteme der Begriff „Tauschringe“ eingebürgert. Im englischsprachigen Raum werden diese als „Local Exchange Trading Systems (LETS)“ bezeichnet. Die Italiener nennen das „Banche del Tempo“ (Zeitbanken), während die Franzosen das „Systèmes d'Echanges Locaux (SEL)“ nennen.

Tauschringe sind entstanden als eine Reaktion auf die zunehmende Geldverknappung in der Bevölkerung und daraus folgender eingeschränkter Möglichkeiten bei der Sicherung des Lebensunterhaltes.

Das erste LETS wurde ab 1983 von Michael Linton betrieben: Das Comox Valley LETS in und um Courtenay, Britisch Columbia (Vancouver Island), Kanada. Sein Verdienst ist es, zwei neue Elemente in die Tauschringe eingeführt zu haben: Die Tauschzentrale, wo jeder sein eigenes Konto bekam, und eine Marktzeitung, in der die Mitglieder ihre Angebote und Gesuche veröffentlichen konnten.

Nach Michael Linton müssen sieben Kriterien erfüllt sein, damit man ein Tauschnetzwerk als LETS bezeichnen kann:

  • Es ist ein Non-Profit-System
  • Bargeld wird weder ein- noch ausgezahlt
  • Jeder beginnt sein Konto mit einem Null-Saldo
  • Es gibt keine Kosten oder Einnahmen aus Zinsen
  • Es besteht kein Zwang, etwas zu kaufen oder zu verkaufen
  • Die lokale Verrechnungseinheit ist wertmäßig an die Landeswährung gekoppelt
  • Innerhalb des Teilnehmerkreises werden die Kontostände und Umsatzvolumen offengelegt

Interessant ist der Vergleich dieser ursprünglichen LETS-Prinzipien zu den Prinzipien eines heutigen Tauschrings am Beispiel von AcrossLETS:

  • Es ist ein Non-Profit-System
  • Bargeld wird weder ein- noch ausgezahlt
  • Jeder beginnt sein Konto mit einem positiven Anfangswert
  • Es gibt ein Überziehungslimit für alle Konten, das bei Null liegt
  • Kontostände werden mit einem negativen Zins als Umlaufsicherungsgebühr belastet. Die Einnahmen aus dieser Gebühr werden gleichmäßig an alle Teilnehmer verteilt.
  • Es gibt keine Kreditvergabe. Die Menge des zirkulierenden Tauschmittels dividiert durch die Teilnehmerzahl ist zeitlich konstant
  • Es besteht kein Zwang, etwas zu kaufen oder zu verkaufen
  • Die lokale Verrechnungseinheit ist wertmäßig an die Arbeitszeit und die Landeswährung lose gekoppelt (nur Empfehlung, Tauschteilnehmer dürfen verhandeln)
  • Innerhalb des Teilnehmerkreises werden die Kontostände am Quartalsende, aber nicht die Umsatzvolumina offengelegt

Linton’s LETS war zunächst als Ergänzung der nationalen Währung gedacht, nicht als Ersatz. Im Zuge der damaligen Depression gewann der Tauschring mit seiner Verrechnungseinheit „Green Dollar“, die an die Landeswährung und somit an die Marktpreise gekoppelt war, schnell an Bedeutung.

Nach Ansicht von Michel Linton beruht ein LETS auf gegenseitiger Kreditvergabe (Mutual Credit) der Tauschteilnehmer. Er glaubte, dass das Tauschmittel in dem Moment entsteht, wenn ein Teilnehmer sein Konto überzieht, um die Leistung eines anderen Teilnehmers zu vergüten. Diese Sichtweise lag insofern auf der Hand, als die Anfangskontostände der Teilnehmer bei seinem System Null waren und es keine Überziehungslimits für die Konten gab.

Lintons Ansicht von Mutual Credit ist für den Betriebs eines LETS ökonomisch irreführend, weil sie der zirkulierenden Menge des Tauschmittels begrifflich und faktisch keine Grenze setzt.

Eine geeignetere Darstellung der ökonomischen Zusammenhänge in einem LETS ergibt sich, wenn man den Teilnehmerkonten ein festes Überziehungslimit setzt. Die Menge des im Kreislauf zirkulierenden Tauschmittels kann berechnet werden, indem man von den Kontoständen der Teilnehmer das Überziehungslimit subtrahiert und diese Werte über alle Teilnehmer aufsummiert.

Nach dieser Darstellung entsteht eine definierte Menge des Tauschmittels beim Eintritt eines neuen Teilnehmers. Diese Menge muss aus dem Kreislauf wieder entfernt werden, wenn ein Teilnehmer austritt. Beim Tauschen bleibt die Menge an Tauschmittel konstant (also kein mutual Credit).

An der ökonomisch irreführenden Auffassung von Mutual Credit ist das Comox Valley LETS Michael Lintons letztlich gescheitert. Michael Linton setzte kein Überziehungslimit und das nutzten einige Mitglieder so schamlos aus, dass sein System aufgrund des mangelnden Vertrauens seiner Mitglieder 1988 zusammenbrach.

Aus dem Scheitern des Comox Valley LETS kann die allgemeine Lehre gezogen werden, dass ein Tauschmittel nicht in unbegrenzter Menge in Umlauf gebracht werden darf, weil sonst das Vertrauen der Anbieter in das Tauschsystem zerstört würde. Tauschringen, die ihren Teilnehmern kein (oder ein zu großzügiges) Überziehungslimit für die Verrechnungskonten setzen, steht diese Erfahrung noch bevor.

Gegen Ende des Comox Valley LETS verbreitete sich die Idee Michael Lintons jedoch in Australien, Neuseeland und Großbritannien. Dort entstanden Tauschringe mit teilweise über 2000 Mitgliedern. Und seit 1993 verbreitet sich die Idee zunehmend auf der ganzen Welt. Dömak in Halle (1994), LETS Tauschnetz München (1993) und Tauschring Margräflerland (1993) waren die ersten LETS-Tauschringe in Deutschland.

Historische Vorläufer

Die Tauschringidee ist jedoch keineswegs eine Erfindung der 1980er. Erste frühsozialistische Experimente gab es bereits im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, so z. B. die Arbeitsbörsen nach Robert Owen, der die englische Konsumgenossenschaftsbewegung begründete. Owen sah einen Defekt im kapitalistischen Wirtschaftssystem, da die Arbeiter seiner Meinung nach ein Anrecht auf den vollen Ertrag ihrer Arbeit hatten, den sie jedoch nicht erhielten.

Zur Lösung dieses Wert- und Verteilungsproblems schlug Owen die Schaffung eines Austausch- und Versorgungssystems vor, bei dem alle Produkte zu ihrem durchschnittlichen Arbeitswert, sprich zu ihrem Selbstkostenpreis, ausgetauscht würden. In seiner 1832 in London eröffneten „Arbeitsbörse“ konnten die Arbeiter als Konsumenten und Produzenten ihre Waren tauschen und mit sogenannten „Labor notes“ (Arbeitsscheinen) zahlen. Bereits ein Jahr später traten Zahlungsschwierigkeiten auf, da die Bewertung der Waren schwierig, umständlich und keineswegs so gerecht war, wie Owen sich das gedacht hatte. Es dauerte einige Jahre, bis die ersten erfolgreichen und dauerhaften Genossenschaften entstanden.

Als ein weiterer Wegbereiter der LETS-Idee wird von manchen Pierre Joseph Proudhon angesehen, bekannt durch sein „Eigentum ist Diebstahl“. Er hatte die Idee, Geld und Zins zu beseitigen und den Kreditverkehr auf der Basis von Gegenseitigkeit („mutualité“) und Tausch neu zu organisieren (Es sei an dieser Stelle aber angemerkt, dass Kreditvergabe heutigen Tauschringen eigentlich wesensfremd ist). 1848 gründete Proudhon eine Volksbank, in der „Tauschbons“ die Rolle des Geldes als Tauschmedium übernehmen sollten. Proudhon ließ dabei jedoch offen, wie eine gerechte Bemessung der Werte für Güter und Dienstleistungen erfolgen soll. Proudhon wurde als Regimekritiker kalt gestellt, so dass seine Volksbank sofort wieder aufgelöst werden musste. Sie hätte sich im Wesentlichen nicht von den herkömmlichen Banken unterschieden, auch wenn sie ihr Hauptaugenmerk auf zinslose Kredite legte.

Weitere Entwicklung der Tauschringe in Europa

Die von Michael Linton eingeführten Elemente Tauschzentrale und Marktzeitung haben viele danach entstandene Tauschringe übernommen. Einige haben dabei auch die zentrale Verrechnung eingeführt, andere tauschen ohne zentrales Konto allein über Tauschkarten/Tauschhefte. Diese werden am Jahresende im günstigsten Fall eingesammelt und kontrolliert, manche Tauschringe jedoch vertrauen auf die Loyalität und Ehrlichkeit ihrer Mitglieder und verzichten auch noch auf diese letzte Kontrolle.

Die Bewertung der Arbeit erfolgt ebenfalls in unterschiedlicher Art und Weise. Bei der Zeitbörse wird jede Tätigkeit als gleichwertig angesehen und demzufolge stellt die Verrechnungseinheit eher eine Referenz zur Zeit als zur Landeswährung dar. Eine zweite Möglichkeit ist die Leistungsbörse: Für höher qualifizierte Tätigkeiten wird mehr angerechnet, als für einfache. Manche Tauschringe praktizieren eine Mischform zwischen Zeitbörse und freiem Aushandeln. Beim freien Aushandeln einigen sich die Tauschpartner über die Vergütung ohne Vorgaben vom Tauschring.

Die Formen, Marktregeln und Gewohnheiten der rund 350 deutschen Tauschringe in Deutschland sind derart unterschiedlich, dass ein überregionales Tauschen zum Teil erheblich erschwert ist. Dies war einer der Gründe dafür, den überregionalen Tauschring AcrossLETS mit einer eigenständigen Tausch„währung“ ins Leben zu rufen. Die überregionalen Tauschaktivitäten bieten sich für Tätigkeiten wie z. B. Korrekturlesen, Übersetzungen, Übernachtungen, Ferienwohnungen, Mitfahrgelegenheiten oder Umzüge von Tauschringmitgliedern an.

Mittlerweile haben sich Tauschringe überall auf der Welt etabliert, auch bei unseren Nachbarn in der Schweiz, in Italien, in Frankreich und in Österreich. Eine Aktuelle Link-Liste zu mehr als 500 Tauschorganisationen und Informationsquellen zum Thema Geld-Alternativen findet sich unter LETS-Links Westeuropa.

In Deutschland gibt es zwischen Rostock und Heitersheim, Wilhelmshaven und Regensburg mehr als 350 Tauschringe mit über 40.000 Mitgliedern! Ein Adressverzeichnis von vielen dieser Systeme findet sich unter Tauschringadressen.

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